Mittwoch, 27. Dezember 2017

Varanasi - Heilige Scheisse II


Varanasi ist die schrecklichste Stadt, die ich kenne. Sie verschluckt Seelen und alle geben sie freiwillig her. Alle Wege führen hier irgendwann in eine Sackgasse. Obwohl das fürs Leben an sich ja auch gilt. Varanasi ist praktisch ein riesiger landwirtschaftlicher Betrieb. Spezialisiert auf die Massenproduktion von Gülle. Aber mit der Zeit wird einem das zunehmend egal. Man ist selbst dreckig und schmierig, das Haar ist ein verfilztes Etwas, in dem bald Vögel nisten werden. Ich wurde schon von einem Roller angefahren und einem durch Matsch fahrenden Jeep von oben bis unten mit Scheiβe bespritzt. Mich hat ein Wasserbüffel gerammt, eine Kuh ging auf mich los, ich wurde beinahe von einem Ziegenbock bestiegen und zwei Hunde leckten mit fletschenden Zähnen meine linke Wade ab. Die hat eine Brandwunde vom Tuchfühlen mit einem heiβen Motoradauspuff. Man kommt sich eben nah hier. Beim Versuch einem grimmigen Wasserbüffel auszuweichen, bin ich in einem frischen Haufen Dung ausgerutscht. Ich wurde belästigt, meist aus finanziellen, manchmal auch aus sexuellen Gründen, übers Ohr gehaun und ausgelacht. Von den Abgasen und dem Rauch der Verbrennungsfeuer und Kellerloch-Küchen läuft man ständig mit einer Art Mattscheibe rum. Der Hup-Tinnitus klingt noch nachts nach und der Raucherhusten hält selbst die Nichtraucherlunge auf Trab. Nachts friert man sich den Arsch ab, nachdem man über Tags wie ein Schwein geschwitzt und eine Mischung zwischen Kreuzkümmel und abgestandenem Leben ausgedünstet hat. Freudig lächelnd und winkend kommen die Kleinsten auf dich zugerannt und wenn sie vor dir stehen, wird das Lächeln noch ein bisschen breiter. Dann haben sie dich schon fast an der Angel und du denkst, wie süβ die doch sind und wie ja doch alles nicht so schlimm ist und dann stellen sie sich breitbeinig hin und sagen es: «Money!». Dann ist der Ofen aus. So geht das hundert Mal am Tag und am Anfang lachst du noch zurück und schüttelst kichernd das Haupt, bis du am Ende des Tages mit gesenktem Blick mit dir selbst redest und dich das Mantra «Don’t follow me, please don’t follow me!» herbeten hörst. Irgendwann dann im Laufe der träge dahinflieβenden Tage, lässt man geduldig jedem Rindvieh den Vortritt und läuft gleichgültig durch Zeit und Raum, als würde man es gar nicht anders kennen. Man gibt sich selbst auf. Vielleicht ist das das Ziel allen menschlichen Daseins.

(Ausschnitt aus dem in Arbeit befindlichen Buch über meinen wochenlangen Aufenthalt in Varanasi, Indien).


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