Freitag, 2. Dezember 2016

Rezension zu Der Mann im gelben Kleid

Eine erste, wie wir finden tolle, Rezension zu Der Mann im gelben Kleid. Vielen Dank!



Jede Silbe ist Ausdruck prallen Lebens


Kopfüber hing die dralle Venus… Mit einer atemberaubenden Sinnlichkeit und diesem beinah zeitgleich im Rückspiegel reflektiv abgeklärten Blick, eröffnen Susann Klossek und Benedikt Maria Kramer den lyrischen Dialog ihrer gemeinsam verfassten Dichtung: “Der Mann im gelben Kleid”.
Bis weit über die Hüften waten wir Leser in der Ursuppe menschlicher Gefühlsmomente, Irrungen und Wirrungen. Sehr treffend werden die kommenden Lesungen von Klossek und Kramer, als “Performance der Befindlichkeiten” angekündigt.

Diese Befindlichkeiten regnen ohne eine Ordnung und fairerweise auch ohne Wertung auf den Leser nieder. Sehnsüchte, Albträume und Phantasien aller Arten und Unarten, wachsen und wuchern in den meist nächtlichen Dichterhimmel, um im postmodernen Alltagsmorgen zu zerschellen. Von Seite zu Seite sterben wir gemeinsam tausend glückliche und unglückliche Tode: unheilsschwangere Kreise schließen und öffnen sich bis ins Unendliche.
 

Viel nackter Wahnsinn blinzelt uns zwischen den Zeilen zu… Immer wieder anders, immer wieder neu, aussichtslos und doch unwiderstehlich.

So kaputt die Situation und verloren die Positionen sind, so verschroben und krank der Einzelne sich selbst oder seine Umwelt schildert, umso kräftiger und stärker wirkt aus dieser Müllhalde des Menschlichen das Lebendige und Unverwüstliche heraus. So ist dieses Liebeslied an die Hoffnungslosigkeit in ihrem Kern zwar kein Votum für die Menschheit als Ganzes, jedoch eines für das einzelne Individuum und eine Verneigung vor dessen turbokreativen nicht auszubremsenden Naturell. (…zwar im freien Fall befindlich, aber scheißdrauf!)

Es dauert ein paar Seiten bis mir klarer wird was von Klossek getextet und was Kramers Schreibe ist und auch da tun sie sich keinen sonderlichen Zwang der Geschlechtsspezifizierung an, sie leben und entwerfen eine Afterparty der Postmoderne nach ihrem eigenen Gusto und stellen uns eine Vision eines Lebens außerhalb gesellschaftlicher indoktrinierter Konditionierungen und Zwangsvorstellungen hin.

Die Szenerien, die in diesem Buch als eine Gegenwartsvorstellung entstehen, ist eine Welt die auf dem Kopf steht, ein Unding, das Abbild einer Deformierung und darum auch so faszinierend. Wäre sie das nicht, wäre es die Schreibe auch nicht oder umgekehrt.

Als Leser ist es ein Genuss und pure Freude an dieser Achterbahnfahrt der beiden Lyriker und den neuen aus dieser einzigartigen Konstellation entstehenden Befindlichkeiten teilzunehmen: Ein Genuss zu erleben, wie sie sich provozieren, herausfordern, Fallen stellen, sich ohrfeigen, in Abgründe stoßen, sich wieder heraushelfen, sich ineinander verlieben und verschmelzen, um sich ein paar Zeilen später wieder hasserfüllt voneinander wegzustoßen.

Es ist eine widerständiges Paket Lyrik und es wird mir warm ums Herz, weil mich danach hungert. Jede Silbe ist Ausdruck prallen Lebens. Der Mann im gelben Kleid ist ein unvermeidlicher Lesestoff und es ist mir bewusst, dass ich durch diese Lektüre Teil einer subversiven Handlung geworden bin.

Wir werden dieses “Hohelied der Flughunde”, wie das Werk im Untertitel benannt ist, als eine Leseperformance erleben und ich finde den Gedanken reizvoll, diesen starken Tobak, vielleicht in einem Jahr oder so, in einer Hörspiel – oder Theaterfassung wieder neu entdecken und genießen zu dürfen; warten wir’s ab.

Der Mann im gelben Kleid: erschienen im Freiraum-Verlag.
Alfred Koller, Vitaltransformer 
http://vitaltransformer.ch/jede-silbe-ist-ausdruck-prallen-lebens/

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